KI-Coaching

verfasst von Prof. Dr. H. Geißler  am 28. 07. 2023

Um sich einen Überblick über die Möglichkeiten zu verschaffen, wie KI im und für Coaching genutzt werden kann, ist es sinnvoll, zunächst die folgenden drei Fragen zu beantworten:

 

1. Wird ChatGPT (oder eine andere KI, wie zum Beispiel Perplexity oder Gemini) als coachingunspezifisches Tool oder in Form eines coachingspezifischen Bots genutzt?

2. Wer ist in dem Coaching-Prozess aktiv beteiligt – Coach und KI, Coachee und KI oder Coach, Coachee und KI? Entsprechend kann man dyadisches KI-Coaching, in dem Coachees KI-Apps zum Beispiel alleine bzw. als Selbstcoaching-Tools nutzen, von triadischem KI-Coaching unterscheiden, in dem zusätzlich auch noch ein menschlicher Coach dabei ist.

3. Wer hat die Gesprächsführung – der Coach bzw. der/die Coachee oder der KI-Chatbot?

 

Mit Bezug auf diese drei Fragen lassen sich folgende sieben Settings identifizieren:

 

SETTING 1: KI-Apps als coachingunspezifische Ratgeber für Coachs

Coachs können coachingunspezifische KI-Apps als Brainstorming Tools nutzen, um ihre Coachings vor- und nachzubereiten. - Dabei bieten sich fünf Möglichkeiten an, wie man ChatGPT als Ratgeber-Tool nutzen kann, nämlich

·       indem man Wissen abfragt und um Tipps und Ratschläge bittet, um ein bestimmtes Problem zu lösen,

·       indem man ChatGPT den Auftrag gibt, etwas Bestimmtes zu entwickeln, also z.B. ein Design für ein Training,

·       indem man ChatGPT bittet, vorgelegte Texte zusammenzufassen oder in einer bestimmten Weise zu überarbeiten,

·       indem man ChatGPT beauftragt, vorgelegte Texte mit Bezug auf bestimmte Kriterien zu analysieren, und

·       indem man ChatGPT bittet zu prüfen, ob mit Blick auf vorliegende Informationen möglicherweise noch weitere wichtige Informationen fehlen.

 

SETTING 2: KI-Apps als coachingspezifische Ratgeber für Coaches

Coaches können coachingspezifische KI-Apps nutzen, um die eigenen Coaching-Fähigkeiten zu trainieren, oder indem sie Aufzeichnungen ihrer Coachings von der KI transkribieren und für die Supervision analysieren lassen.

 

SETTING 3: KI-Apps als coachingunspezifische Ratgeber für Coachees

Nicht nur Coaches, sondern auch Coachees können coachingunspezifische KI-Apps als Ratgeber nutzen, indem sie ihnen Fragen stellen oder Bearbeitungsaufträge geben. Das heißt, Coachees können der KI-App den Auftrag geben,

  • Tipps und Ratschläge für ein bestimmtes Problem zu geben,
  • ein Design für die Entwicklung einer Lösungsstrategie zu entwickeln,
  • eingegebene Einzelinformationen zur vorliegenden Coachingproblematik zusammenzufassen oder in einer bestimmten Weise zu überarbeiten,
  • eingegebene Einzelinformationen zur vorliegenden Coachingproblematik mit Bezug auf bestimmte Kriterien zu analysieren, und
  • mit Blick auf die eingegebene Einzelinformationen zur vorliegenden Coachingproblematik zu klären, ob möglicherweise noch weitere wichtige Informationen fehlen und worauf sie sich bekommen könnten.

Wenn Coachees derartige Aufträge geben, müssen sie jedoch hinreichend über die Grundlagen und Risiken der Künstlichen Intelligenz informiert sein – zum Beispiel darüber, wie ein Large Language Model überhaupt zu Ergebnissen kommt, aber insbesondere auch über die Gefahr, dass die KI manchmal Tatsachen erfindet, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Weiterhin ist es für Coachees wichtig zu wissen, wie sie sich bei der Formulierung ihrer Fragen und Aufträge ausdrücken müssen, damit die KI brauchbare Informationen liefert.

  

SETTING 4: KI-Apps als coachingspezifische KI-Chatbots für Coachees

Im Gegensatz zum dritten Setting übernimmt hier ein coachingspezifischer KI-Chatbot (also z.B. pi.ai/talk) die Gesprächsführung, indem er den Coachees lösungsorientierte Fragen stellt, die von den Coachees eingegebenen Antworten zusammenfasst, ihnen Feedback gibt und Lösungen anbietet. In diesem Setting müssen die Coachees selbst die volle Verantwortung übernehmen – zwar nicht für das, was der Bot produziert, sondern für das, was sie von ihm annehmen. Mit dieser Aufgabe sind viele Coachees allerdings stark überfordert. Aus diesem Grund ist es notwendig bzw. sinnvoll, diese Nutzungsmöglichkeiten im Setting 5 mit dem Dialog zwischen einem menschlichen Coach und dem Coachee zu verbinden.

 

SETTING 5: Coachingspezifische KI-Chatbots im Coach-Coachee-Dialog

Wie bereits betont, ist das vierte Setting an weitreichende Voraussetzungen gebunden. Es ist deshalb sinnvoll, ihre Nutzung für triadisches KI-Coaching in einen Coach-Coachee-Dialog einzubinden. In diesem werden dann die Erfahrungen besprochen und aufgearbeitet, die die Coachees bei der Nutzung einer coachingspezifischen KI-App als Ratgeber oder als Selbstcoaching-Tool gemacht haben. Auf die gleiche Weise können Coaches ihren Coachees auch die Hausaufgabe geben, die nächste Sitzung mithilfe von KI vorzubereiten. Im Gegensatz zum vierten Setting übernehmen bei dieser Nutzungsmöglichkeit allerdings die Coaches die Verantwortung. Sie müssen begründet entscheiden, an welcher Stelle des Coach-Coachee-Dialogs sie den Bot einsetzen und wie sie die Coachees bei der mentalen Auseinandersetzung mit den Äußerungen des Bots begleiten.

 

SETTING 6: Coachingunspezifische KI-Chatbots im Coach-Coachee-Dialog

Analog zum fünften Setting kann man auch coachingunspezifische KI-Ratgeber in den Coach-Coachee-Dialog integrieren.

 

SETTING 7: Triadisches KI-Coaching mit Textbausteinen und Prompt Repositories

 

Diese Möglichkeiten des triadischen KI-Coachings (d.h. Setting fünf und sechs) lassen sich noch weiterentwickeln, indem man GPT mit Textbausteinen ausstattet, die z.B. coaching-diagnostisches Wissen beinhalten und sicherstellen, dass dieses Wissen zu Anwendung kommt. Zudem kann man die Nutzung dieses Wissens auch situationsspezifisch steuern, indem man im Dialog zwischen Coach und Coachee ein sogenanntes Prompt Repository verwendet. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Prompts, an denen sich Coach und Coachee wie an einer Straßenkarte orientieren können, um zu sehen, wo sie sich in ihrem Prozess momentan befinden und welche Entscheidungsmöglichkeiten sich anbieten 

 

Literatur

Clutterbuck, D. (2022). The Future of AI in Coaching. In: S. Greif, H. Möller, W. Scholl, J. Passmore & F. Müller (Eds.) International Handbook of Evidence-Based Coaching (369-380), Wiesbaden: Springer

Ellis-Brush, K. (2021). Augmenting Coaching Practice through digital methods. In: International Journal of Evidence Based Coaching and Mentoring, pp.187-197. DOI: 10.24384/er2p-4857

Kuhl, J. (2010). Lehrbuch der Persönlichkeitspsychologie. Göttingen u.a.: Hogrefe

Terblanche, N. (2020) 'A design framework to create Artificial Intelligence Coaches'. In: International journal of evidence based coaching and mentoring, 18(2), pp.152-165. DOI: 10.24384/b7gs-3h05.